Sonntagabend 07-SEPT-2014
Kann etwas Triviales wie ein Friseurbesuch zu einem berichtenswerten Ereignis werden? – Ja, wenn man als Europäer in China einen Haarschnitt braucht.
Mir war bewusst, dass nach meinem Aufenthalt in Shanghai keine Zeit bleibt um für einem familiären Hochzeitstermin noch einen Haarschnitt zu kriegen. Daher passte ein Friseurbesuch in meiner letzten Woche Shanghai gut in den Plan – wenn da nicht wieder das Sprachproblem wäre ,-).
Nahe meiner Unterkunft bin ich schon desöfteren an einem Friseur vorbeigekommen. Samstagabend vor dem Schlangenmahl bin ich auch kurz vor dem Schaufenster stehen geblieben und wurde von einem jung-dynamischen Friseur hineingewunken. Die Jungs im Laden sprachen natürlich kein englisch, gestikulierten aber freundlich auf ihre Preisliste. Sie deuteten mit erhobenem Like-Daumen auf die unterste – und gleichzeitig teuerste -Position der Liste. Das einzige was ich an jener Position verstand war der Preis: 88 Yuan – ca. 11 EUR. Nach wie vor ein guter Preis für einen Herrenhaarschnitt – wenn es sich überhaupt um Haareschneiden handelt. Womöglich beinhaltet diese teuerste Position einen modischen FoKuHiLa-Schnitt mit purpurnen Farbsträhnen – denn die Friseurjungs im Laden hatten alle asymmetrische Haarschnitte mit blau oder lila Strähnen. Ich reagierte wie man bei chinesichen Händlern generell auf ominöse Angebote reagieren sollte: Nickend Lächeln und erstmal dankend abwinken
Ich habe die Preisliste fotografiert und an der Hotelrezeption nachgefragt, was mir die Jungs angeboten haben: Die 88 Yuan zahlt man für einen Haarschnitt vom Geschäftsleiter bzw. top-ausgebildeten Haarstylisten. Die anderen Positionen auf der Liste waren reguläre Haarschnitte – Abhängig davon, wie erfahren der Friseur der schneidet sein sollte wird gezahlt.
Am Sonntag probierte ich den Friseur aus. Womöglich eine meiner letzten Chancen noch einen Haarschnitt zu kriegen. Die letzte Arbeitswoche im Büro versprach auch nach Torschluss turbulent und ereignisreich zu werden.
Nach Betreten des Ladens deutete ich auf die erste Position der Liste und dann auf meine lockige Mähne. Nach kurzem Herumgedruckse mit dem jungen Friseur einigten wir uns auf die zweite Position, da die erste (und günstigste) Position dem Pantomimenspiel der Friseure zufolge nur Stutzen mit der Schermaschine beinhaltete – nicht Haare schneiden.
Was soll’s, immer noch ein gutes Angebot. Das Preis-Leistungsverhältnis wäre nach europäischen Standards schon auf Luxusniveau. Ich verbrachte mindestens 30 Minuten im Salon – OHNE Wartezeit. Ich durfte mich sofort ans Waschbecken legen für eine Haarwäsche inklusive Kopfhautmassage, danach vollführte ein anderer Friseur sein Handwerk mit meiner Lockenmähne. In künstlerhafter Akribie setzte er verschiedenen Scherentypen zum Haareschneiden ein:
Erst dachte ich, er würde nur Spitzen schneiden. Danach wanderten die unterschiedlich große und kleine Scheren durch mein Haar. Manchmal mutete es an, als müsste er jedes Haar einzeln trimmen um ein Kunstwerk auf meinem Kopf zu zaubern. Ich musste rätseln, ob er womöglich verunsichert war oder lediglich sehr vertieft und gewissenhaft in seinem Handwerk. Er wirkte erst schüchtern und übervorsichtig – später etwas forscher. Ich deutete noch auf die Schere zum Ausdünnen in dem Sammelsurium aus unterschiedlichen Scherentypen die an seinem Handwerkergürtel hingen.
Bechallt wurde der Salon von einem chinesischen Radiosender. Es dudelten schmachtende chinesiche Schlager im Hintergrund. Das flippige Ambiente wurde komplettierte durch eine doaistische Gottheit die auf dem Garderobenschrank hinter mir thronte. Ist die rotgesichtige Gottheit der chinesische Schutzpatron der Barbiere? Und es wirkte, als ob die kleine Statue mir bei der krönenden Aktion zuzwinkern würde:
Zum Abschluss rasierte der Stylist meinen Nacken, die Schläfen und den Ponyansatz – mit einem offenen Rasiermesser. Er deutete mit fragendem Blick kurz auf die stolz, silbern funkelnde Rasierklinge. Abenteuerlustig wie ich bin nickte ich zustimmend. Schon seit Jahren hatte ich keine vernünftige Rasur beim Friseur mehr bekommen, seit sich die türkischen Friseure bei mir nicht mehr den Einsatz der Klinge trauen. Umspielt von dünnen Rauchfahnen der Räucherstäbchen lächelte die daostische Barbiersgottheit zufrieden in ihrem Schrein – grade so als wäre das bärtige Männchen mit meinem ausrasierten Nacken und den flinken Händen des jungen Barbiers zufrieden.
Die flippigen Stylisten in ihrem Salon mögen zwar aussehen und wirken wie warme Brüder – einige sind es vermutlich auch – aber sie beherrschen ihr Handwerk. Ich bin begeistert von dem Resultat. Das Trinkgeld hat sich mein Friseur in jedem Fall verdient.
Raucher nebendran